Enttäuschend-trübsinnige Zitate aus ''Warum das Kind in der Polenta kocht''- Aglaja Veteranyi (1. Kapitel)

Das Glück hatte ich mir anders vorgestellt.

Die Zeit friert.

Hier ist jedes Land im Ausland.

Das Essen meiner Mutter riecht zwar auf der ganzen Welt gleich, es schmeckt aber im Ausland anders, wegen der Sehsucht.

DAS AUSLAND VERÄNDERT UNS NICHT. IN ALLEN LÄNDERN ESSEN WIR MIT DEM MUND.

Wir wohnen immer woanders.

WIR DÜRFEN NICHTS LIEBGEWINNEN.

Ich bin es gewohnt, mich überall so einzurichten, dass ich mich wohl fühle.
Dazu muss ich nur mein blaues Tuch auf einen Stuhl legen.
Das ist das Meer.
Neben dem Bett habe ich immer das Meer.
Ich muss nur aus dem Bett steigen, und schon kann ich schwimmen.
In meinem Meer muss man nicht schwimmen können, um zu schwimmen.

MEIN VATER WILL SOWIESO NUR MEINE SCHWESTER.

Frauen sind eifersüchtig und berechnend, sie haben nur böse Spiele im Kopf, sagt sie.

ICH WAR NUR JEMAND, BEVOR ICH GEBOREN WURDE.

Mein Vater war nicht dabei.

Ich gleiche meinem Vater.
Er ist gar nicht dein Vater, dieser Bandit, sagt meine Mutter manchmal wütend, wir brauchen ihn nicht!

WARUM IST MEIN VATER NICHT MEIN VATER?

Wenn sich meine Mutter für meine Schwester ausgibt, riecht sie plötzlich ganz fremd. Sie darf mich dann nicht mehr anfassen. Im Hotel muss sie auf dem Boden schlafen, ich will das Bett mit ihr nicht teilen.

Zu Hause dürfen die Leute nicht einmal im Traum frei denken. Wenn sie dann laut sprechen und von den Spionen gehört werden, werden sie nach Sibirien gebracht.

Die Fremden wollen uns aber auch schaden.

Ich darf mit den anderen Kindern nicht spielen.
Meine Mutter traut niemandem.

ES IST VERBOTEN, KINDER ZU KRIEGEN OHNE MANN UND BEVOR MAN GEBOREN IST.

Ich muss immer an den Tod meiner Mutter denken, um von ihm nich überrascht zu werden.

Ich schreie nicht.
Ich habe meinen Mund weggeworfen.

Das Abbauen des Zirkuszeltes ist überall glecih, wie ein grosses Begräbnis, immer in der Nacht, nach der letzten Vorstellung in einer Stadt.

Bei mir löst sich alles auf, und es geht ein Wind durch mich hindurch.

Am liebsten will ich so sein wie die Leuten draussen.

Am liebsten will ich tot sein. Dann weinen alle bei meinem Begräbnis und machen sich Vorwürfe.

Traurigkeit macht alt.
Ich bin älter als die Kinder im Ausland.
In Rumänien werden die Kinder lt geboren, weil sie schon im Bauch der Mutter arm sind und sich die Sorgen der Eltern anhören müssen.

Die Toten leben besser als die Lebenden, im Himmel braucht man keinen Pass, um zu reisen, sagt meine Mutter.

DER DIKTATOR HAT GOTT VERBOTEN.
Im jedem Zimmer hängt sein Bild, damit alle Kinder wissen, wie er aussieht.
Seine Frau hat eine halbe Stadt voller Schuhe, sie benutzt Häuser wie Schränke.
Der Diktator ist von Beruf Schumacher, seine Schuldiplome hat er gekauft.
Er kann weder schreiben noch lesen, sagt meine Mutter, er ist dümmer als eine Wand.
Aber eine Wand tötet nicht, sagt mein Vater.

Die Menschen suchen das Glück wie unser Blut das Herz. Wenn kein Blut mehr zum Herzen fliesst, trocknet der Mensch aus, sagt mein Vater.
Das Ausland ist ds Herz. Und wir das Blut.
Und unsere Familie zu Hause?

Ich bin so beweglich, dass ich als Schlangenfrau antreten könnte.Später will ich eine Nummer für mich alleine. Aber meine Mutter  will das nicht.

Die Schlussparade im Zirkus im Zirkus mit Fanfarenmusik ist fast so schlimm wie eine Blinddarmoperation. In jedem Land ist sie gleich. Alle Artisten stehen in einer Reihe oder im Kreis und winken. Das ist zum Schämen!

MEIN VATER IST SO ALT WIE MEIN GROSSVATER, ABER ICH GLAUBE NICHT, DASS ER DAS MERKT.

Bei meinem Vater gibt's oft eine Schlägerei. In dem Land, aus dem er kommt, ist das üblich.

IM AUSLAND KANN MAN BERÜHMT WERDEN, OHNE DER DIKTATORPARTEI ANZUGEHÖREN.

Obwohl Afrika im Ausland ist, gibt es dort genauso arme Leute wie in Rumänien.
Sie sind schwarz.
In Afrika müssen die Armen im Zirkus separat sitzen und trotzdem den ganzen Eintritt bezahlen.
Mit ihnen zu sprechen war auch verboten.

Daran merkte ich, dass es bei uns hier besser geht als zu Hause.
Trotzdem wurde meine Mutter kurz danach ins Spital gebracht. Sie hatte Steine in der Galle.

Im Ausland sind wir aber keine Fremden untereinander, obwohl mein Vater hier fast in jedem Satz eine andere Sprache spricht, ich glaube, er versteht manchmal selber nicht, was er sagt.

Seine Muttersprache klingt wie Speck mit Paprika und Sahne. Sie gefällt mir, aber er darf sie mir nicht beibringen.

 Wenn wir uns hier so verstecken müssen, weiss ich nicht, warum wir weggegangen sind von zu Hause. Wir dürfen nie wieder zurück, das ist verboten.

Meine Mutter wird jemand finden, der ein Buch mit unserer Lebensgeschichte schreibt.
EISENTÜR UND TÜR ZUR FREIHEIT wird es heissen.

MEINE PUPPEN SIND GANZ DÜNN GEWORDEN. SIE VERSTEHEN DIE FREMDEN SPRACHEN NICHT.

UNSERE GESCHICHTE KLINGT BEI MEINER MUTTER JEDEN TAG ANDERS.
Wir sind orthodox, wir sind jüdisch, wir sind international!

Meine Mutter trat schon als Kind im Zirkus auf, um ihre ganze Familie zu ernähren.
Ein andermal brennt sie gegen den Willen ihrer Eltern mit dem Zirkus und mit meinem Vater durch. Das kostet meine Grossmutter das Leben, obwohl sie in einer anderen Geschichte wegen unserer Flucht stirbt.
In allen Geschichten ist mein Grossvater schon tot.

In allen Geschichten ist meine Grossmutter EIN ENGEL.

Jeder Mensch hat einen eigenen Grund zu sterben.

WIR SIND VIEL LÄNGER TOT ALS LEBENDIG, DESWEGEN BRAUCHEN WIR ALS TOTE VIEL MEHR  GLÜCK.

Totsein ist wie schlafen. 
Du legst den Körper aber nicht ins Bett, sondern in die Erde.
Dann musst du Gott begründen, warum du lieber tot als lebendig sein willst.
Wenn du ihn nicht überzeugst, löscht er dir das Gehirn aus, und du musst mit dem Leben wieder von vorne anfangen. 
Usw.
Usw.
Usw.
Usw.
Usw.
Etc.

DAS WICHTIGSTE
Sich in acht nehmen vor den anderen.
Ihnen nicht die Wahrheit sagen, damit sich niemand 
über uns lustig machen kann.
Die Leute merken nicht, dass ich anders bin, ich er-
finde immer neue Geschichten über uns, damit sie
nicht glauben, wir sind niemand und haben nichts
erlebt. 

Je reicher die Leute sind, desto weniger Kinder wollen sie, sagt meine Mutter.

ICH WERDE SPÄTER AUCH EINEN REICHEN MANN HEIRATEN.
Oder zei Männer, dann werde ich nie alleine sein.
Bei der Hochzeit werde ich sie unter dem Tisch anfassen,
wo's verboten ist. Die Leute werden Kuchen 
essen und neidisch sein. Meine Männer werden
mich lieben und abschlecken.
Ausser dem Diktator und seinen Söhnen gibt's in 
Rumänien keine reichen Männer, meine Eltern haben 
gut daran getan zu fliehen, denn einen Diktatorsohn heirate ich nicht. 

UNSER KÖNIG IST AUCH INS AUSLAND GEFLOHEN,
WEIL ER IN RUMÄNIEN NICHT
MEHR REICH SEIN DURFTE.

Was heisst reich? Meine Familie zu Hause kann nicht 
einmal Wasser kochen, weil sie weder Wasser noch
Gas hat.

Aber meine Cousinen haben viele Kinder.
Rumänische Frauen müssen viele Kinder gebären.
Wir schicken ihnen regelmässig Kaffee und Seidenstrümpfe. Aber sie wollen immer Dollar.
Alle glauben, wir sind sehr reich. Haben die eine Ahnung!

Meine Mutter trägt das Geld im Stiefel. Mit viel Geld will ich mir später einen chinesischen Diener kaufen, der immer wachbleibt, damit ich keine schlechten Träume mehr habe. Er wird Tschian-Tschian heissen und auf mich aufpassen, und ich werde keine Angst mehr haben. Und alle werden sich darüber wundern.

Ich habe grosses Glück, wir sind immerhin schon so reich, dass ich Boxi nicht essen muss.
Wer in Rumänien einen Hund hat, lässt ihn entweder verhungern oder macht daraus Fleischsuppe, um selber nicht zu verhungern.

Im Zirkus lächeln die Leute beim Sterben.
Ich werde nicht lächeln.

OB MAN SCHON WÄHREND DES FALLENS
VOR SCHRECK STIRBT?

Und wieso hat meine Mutter Angst vor dem Fliegen,
wenn sie von Beruf an den Haaren hängt?

Mein Vater betrinkt sich auch so, ohne Trinken steigt
er gar nicht aufs Seil, weil ihm sonst das Gleich-
gewicht fehlt.

KEIN ZWEIFEL, ES GIBT EINEN GOTT,
DENN FAST ALLE ARTISTEN, OB LANDSLEUTE
ODER FREMDE, BEKREUZIGEN
SICH VOR IHREM AUFTRITT, WAS HÄTTE
DAS FÜR EINEN SINN OHNE GOTT?

Ich werde nur im Film sterben. Wenn ich dann gestorben bin, geht das Licht aus, und ich werde wieder lebendig. Ich werde nie ganz sterben! Ich werde es im Leben länger als hundert Jahre aushalten.
Meine Mutter bekommt den dunklen Blick, wenn ich darüber rede.
Vom Tod zu reden bringt Unglück! sagt sie.

ABER WAS BRINGT DENN KEIN UNGLÜCK!

Fast alles worüber wir reden, bringt Unglück.
Meine Mutter weint oft und sagt, sei froh, dass du mich noch hast, später wirst du merken, wie schlimm es ist, allein zu sein auf der Welt.

Da muss ich gar nicht auf später warten.

Solange sie da oben hängt, ist sie nicht mehr meine Mutter, und ich stopfe mir Brot in die Ohren und in den Mund. Wenn sie runterfällt, will ich es nicht hören.

DAS SCHÖNSTE
Wenn wir nach der Vorstellung zusammen essen.
Wenn meine Mutter im Bett liegt und tief schläft.
Wenn sie in der Morgendämmerung leise aufsteht,
mich zudeckt und zu kochen beginnt.
Der Geruch von verbrannten Hühnerfedern ist das
Zuhause.
Dann schlafe ich ein.


AM SCHÖNSTEN WÄRE ES, WENN MEINE 
MUTTER IMMER SCHLAFEN WÜRDE. 

Ich frage meine Schwester, warum es Gott zulässt, 
dass das Kind in der Polenta kocht.
Sie zuckt mit den Achseln.
Frage ich aber oft, lässt sie sich erweichen und sagt:
Das erzähle ich dir später. 


Ich weiss selber, warum das Kind in der Polenta 
kocht, auch wenn meine Schwester es mir 
nicht sagen will.
Das Kind versteckt sich im Maissack. weil es Angst 

hat. Und dann schläft es ein. Die Grossmutter 
kommt, schüttelt den Mais ins heisse Wasser, um für 
das Kind Polenta zu kochen. Und als das Kind aufwacht, 
 ist es verkocht. 

ODER
Die Grossmutter kocht und sagt zum Kind: Pass auf 

die Polenta auf und rühr mit diesem Löffel, ich geh 
raus, Holz holen.
Als die Grossmutter draussen ist, spricht die Polenta 

zum Kind: Ich bin so allein, willst du nicht mit mir 
spielen?
Und das Kind steigt in den Topf. 


ODER
Als das Kind starb, kochte es Gott in der Polenta.
Gott ist ein Koch, er wohnt in der Erde und isst die 

Toten. Mit seinen grossen Zähnen kann er alle Särge 
zerbreissen. 

AM LIEBSTEN HABE ICH DIE GESCHICHTEN MIT MENSCHEN, DIE ESSEN ODER GEKOCHT WERDEN.

GOTT IST IMMER SEHR HUNGRIG.

Die Leute haben Angst vor Gott, deshalb gehen sie 
in den Himmel. Dort gibt es eine Spezialabteilung 
für Artisten, die fliegen können. 

JESUS CHRISTUS IST AUCH EIN ARTIST. 

Ende erstes Kapitel.

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